14. März 2006 – 05. April 2006
1050 Km durch Österreich, Slowenien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien
Als ich in Graz am frühen Abend nach rund 11 Stunden Zugfahrt das Bahnhofs-Gebäude verlasse und zu meinem ersten „Dachgeber“ radle, zeigt das Thermometer – 3 Grad Celsius an. Angenehme Aussichten für die beginnende Radtour am nächsten Morgen rede ich mir selbst ein. Im Schnelldurchgang zeigt mir Katharina, meine Dachgeberin, die sehenswerte Innenstadt und den Burgberg von Graz.
Am nächsten Tag fahre ich los und nach 82 Km erreiche ich mit mehreren „Aufwärmstops“ die slowenische Stadt Maribor. Auch hier kann ich privat übernachten und erfahre viele Dinge über Slowenien. Die Stadt gefällt mir gut.
Die Weiterfahrt nach Ptuj, der ältesten Stadt Sloweniens mit vielen sehenswerten Gebäuden und einem Schloss ist durch viel Verkehr etwas getrübt. Der Grenzübertritt nach Kroatien gestaltet sich problemlos und am späten Nachmittag werde ich in Varazdin von Ljerka an ihrem Arbeitsplatz empfangen. Varazdin selbst überrascht mit einem sehr schönen Stadtbild, das vor allem abends mit Beleuchtung schon fast romantisch wirkt. Nach einem ausgiebigen Frühstück mit Ljerka und ihrem aus Syrien stammenden Ehemann kaufe ich an einer Tankstelle eine Straßenkarte und nach zunächst leichten Steigungen heißt es jetzt kräftig das Rad schieben. Dafür werde ich später, als ich an einem Haus nach dem Weg frage, zu Kaffee und selbstgekeltertem Wein eingeladen. Da meine Füße inzwischen eiskalt sind, kommt diese Gelegenheit gerade zur rechten Zeit.
In Krizevci übernachte ich in einem Hotel, das zum Gästehaus umfunktioniert wurde und mit einer Pizza stärke ich mich für den kommenden Tag. Denn das Frühstück an diesem Morgen kann man getrost vergessen und so dauert es nicht lange, bis ich mir ein zweites gönne. Schon bald erkenne ich, dass die Strecken auf der Karte nicht berechenbar sind, d.h. keine Höhenangaben, keine Steigungen sind ersichtlich. Aber eigentlich ist das ja nichts wirklich Neues für mich. Ich muss mich nur wieder daran gewöhnen – gerade das macht auch den Reiz des Radfahrens für mich aus: nicht zu wissen, wie weit man an einem Tag vorwärts kommt. Obwohl diese Tatsache auch manchmal etwas Angst erzeugen kann. Nach einer weiteren Einladung zum Tee von einem deutsch sprechenden Kroaten zeigt sich am Nachmittag die Sonne in Kloster Ivanov. Ich folge dem Lauf des Save-Flusses. Kleine Dörfer mit vielen alten, traditionellen Holzhäusern und Gehöften begleiten meinen Weg. Eine neu gebaute Brücke führt auf die andere Uferseite und dieses kleine Dorf hier ist mir auf Anhieb sympathisch. So beschließe ich spontan nach einer Übernachtung zu suchen. Nach langem Suchen, vielen Fragen und Ablehnungen nimmt mich ein Kroate in sein Haus mit, wo ich ein eigenes Zimmer mit Bett benutzen kann. Es ist kalt im Zimmer, denn eine Heizung gibt es nicht. Dafür kann ich warm duschen! Bevor ich am nächsten Morgen weiterfahre, bekomme ich noch eine Tasse Kaffee. Entlang des Save-Flusses geht es noch ein Stück weiter und dann entscheide ich mich entgegen der ursprünglichen Planung die Strecke über Sisak zu nehmen. Die Luft ist dort durch Industriebetriebe stark verschmutzt, dafür bietet der an diesem Sonntag geöffnete Supermarkt eine reiche Auswahl an Proviant für die Weiterfahrt. Der spätere Grenzübertritt nach Bosnien-Herzegowina gestaltet sich wieder problemlos – ein Blick in den Reisepass und das war es auch schon. So einen Grenzübertritt mag ich. Die kyrillische Schrift in der nächsten Ortschaft lässt Erinnerungen an Touren in Weißrussland und der Ukraine wach werden. An einer Quelle am Waldrand füllen Frauen einige Kanister mit Wasser auf und ich meine Wasserflaschen am Rad.
Hart am Limit
Ich verfehle eine Abzweigung und muss einen Umweg fahren, dann hört auch noch der Asphaltbelag auf und ich komme nur noch mühsam voran. Die Sonne geht schon unter als ich endlich ein größeres Dorf erreiche. Meine Fragen und Bitten nach einem Übernachtungsplatz werden abgewiesen oder ignoriert. Jetzt nur nicht aufgeben denke ich mir und eine halbe Stunde später kann ich im obersten Stockwerk eines halbfertigen Hauses auf einer Couch (!) übernachten. Kein Licht, kein Treppengeländer – aber ein Dach über dem Kopf. Was will ich mehr? So lernt man die einfachen Dinge des Lebens wieder zu schätzen. Die serbische Familie gibt mir noch ein ausgiebiges Frühstück, bevor ich über Berg und Tal weiterfahre. Um mich herum jede Menge Schneereste in den Bergen, doch die Luft ist herrlich klar und frisch.
Die Stadt Prijedor empfängt mich mit chaotischem Verkehr und Menschen-Gewimmel. Vor einem Kiosk parke ich mein Rad und erledige einige wichtige Dinge (Geldwechsel, Telefonkarte kaufen u.a.). Ich passiere zwei Moscheen und nach einigem Fragen und Suchen finde ich den richtigen Einstieg zu einer Straße abseits der Hauptstraße. Ausschilderung: Fehlanzeige. Daran werde ich mich in der nächsten Zeit noch gewöhnen müssen.
Über Stratinska, Bistrica, Banja Luka geht es nun durch die Vrbas-Schlucht. Diese Strecke entlang des Vrbas-Flusses ist landschaftlich sehr schön und nur wenige Autos sind unterwegs. So kann ich mich ganz auf die Landschaft einlassen. Dafür gibt es kaum Ortschaften und so ist die Übernachtung nicht einfach. Dazu kommt noch eine Polizeikontrolle zur ungünstigsten Zeit und so ist es bereits dunkel als ich ein Motel entdecke und dort bleibe. Das Rad nehme ich wie üblich mit auf das Zimmer.
Der anstrengende gestrige Tag steckt mir noch in den Knochen, als ich ein weiteres Stück durch die Schlucht bis nach Jaice fahre. Jaice war die letzte Bastion der bosnischen Könige bis zum 15. Jahrhundert. Ein schöner Ort mit einem Wasserfall und einer Festung.
Cevapcici und Börek stärken mich für die nächsten Kilometer. Diese Stärkung war auch notwendig, wie sich bald zeigen wird. Auf nicht aus-geschilderten Nebenstrecken führt die Fahrt weiter. Leider hört schon bald der Asphalt auf. Entlang des Weges zerstörte Häuser, ehemalige Dörfer. Ein nieder-schmetternder Anblick. Langsam aber sicher steigt der Weg an, denn Straße kann man dazu jetzt nicht mehr sagen. Als es auch noch zu regnen anfängt, meine Kräfte nachlassen, der Weg über Schneefelder führt und es dunkel wird, wird mir doch etwas mulmig. Bei völliger Dunkelheit erreiche ich eine Anhöhe mit ein paar Häusern und an einem Haus frage ich nach einem Platz für die Nacht. Ein Mann spricht zum Glück Deutsch und es stellt sich im Laufe des Gespräches heraus, dass der Weg in Richtung Travnik noch unpassierbar ist (meterhoher Schnee!). Ich kann in einem leerstehenden Zimmer mein Nachtlager aufschlagen und denke für mich: „Glück gehabt“.
Meine weitere Planung ist nun völlig über den Haufen geworfen. Doch zu meiner Überraschung ergibt sich eine andere Möglichkeit. Der Mann fährt am nächsten Morgen mit dem Kleinbus zwei Kinder des Dorfes zur Schule nach Jaice und ich kann mitfahren! Das Rad passt wie abgemessen in den Bus. Auf dieser Fahrt hinunter wird mir erst richtig klar, was für eine Strecke ich gestern bergauf zurückgelegt habe. Da die Strecke jetzt durch den Regen total aufgeweicht ist, wäre es unmöglich sie mit dem Rad zurück zu fahren. Da es nach wie vor regnet, einige ich mich mit dem Fahrer auf einen Preis und er bringt mich fast bis zur Stadt Zenica. Die Stadt selbst macht einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck und so nehme ich den Bus nach Sarajewo, der Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina.
Sarajewo
In Sarajewo, der Hauptstadt und größten Stadt von Bosnien-Herzegowina kann ich dank eines Internet-Kontaktes bei einem jungen Paar übernachten. Leider sind beide starke Raucher, was hier allerdings normal zu sein scheint. Zuerst ruhe ich mich einmal hier aus, was ich nach den Erlebnissen und Anstrengungen der letzten Tage auch nötig habe. Ich wohne unmittelbar in der Altstadt, umgeben von Moscheen, Holzhäusern und kleinen Läden. Dennoch ist es ruhig und kein Vergleich zu den hässlichen Wohnhauskomplexen in den neueren Stadtteilen von Sarajewo. Am nächsten Tag nimmt man mich abends mit zu einem Konzert und es wird erst frühmorgens als wir nach Hause zurückkehren.
Nach einem ausgiebigen Fotorundgang durch den alten Basar (Bascarsija), einem Handelsplatz und Markt seit dem 15. Jahrhundert, gehen wir abends mit anderen Freunden in mehrere Bars und Lokale, so dass wir am nächsten Tag erst nachmittags zu einem Ausflug mit dem Auto nach Jahorina aufbrechen. Jahorina ist ein beliebtes Skigebiet in den bosnischen Bergen und war Austragungsort der XIV Olympischen Winterspiele. Soviel Schnee wie hier noch liegt, hätte ich nicht für möglich gehalten. Dazu ein strahlend blauer Himmel – fantastisch.
Grandiose Bergwelt
Ich verlasse Sarajewo auf dem Weg in Richtung Foca. Diese Strecke mit vielen Steigungen entlang Bergen, die vom Schnee wie mit Puderzucker zu überzogen scheinen, verlangt wieder meinen ganzen Einsatz. Mehrere Tunnels – teilweise völlig unbeleuchtet – sowie unzählige Serpentinen und steile Anstiege fordern mich heraus. Die Landschaft und die Bergwelt hier ist noch beeindruckender als die Strecke entlang der Vrbas-Schlucht und niemand außer mir scheint unterwegs zu sein. Nach 83 Km Fahrt erreiche ich Foca, schön an einem Fluss gelegen. Hier im Ort treffe ich mich mit Ivona, die mir bei den Eltern ihrer Freundin einen Schlafplatz im Haus organisiert hat. Sie erzählt mir viel über den Ort, die Geschichte des Ortes, den Krieg und die Hoffnungen und Ängste für die Zukunft. Nach dem Frühstück, Geldwechsel und Einkauf fahre ich weiter entlang des Drina-Flusses, der sich aber immer weiter von der Strasse entfernt. Und das bedeutet: es geht wieder bergauf! Als Entschädigung dafür wird die Landschaft immer grandioser: steile Schluchten, Felsmassive, schneebedeckte Berge, weite Ausblicke.
Beeindruckend auch die Fahrt entlang des Sutjeska-Nationalparkes. Hier befindet sich auch Bosniens höchster Berg mit 2 386 Metern. So ist es kein Wunder, dass ich später das Rad sogar schieben muss, weil die Straße immer steiler nach oben führt. Am höchsten Punkt dann ein geradezu gigantischer Rundblick. Um mich herum liegt der Schnee noch über einen Meter hoch und ein See, den ich anschließend passiere, ist noch zugefroren. Ich bin sogar froh, dass wenigstens die Straße vom Schnee geräumt ist.
Ein eisiger Wind schlägt mir bei der nun folgenden Abfahrt entgegen und ich benötige alle meine Kleidungsstücke um nicht zu frieren. Gegen Abend erreiche ich Gacko, eine Stadt die nicht unbedingt einen einladenden Eindruck auf mich macht. Im einzigen, heruntergekommenen Hotel verbringe ich die Nacht und mitten beim Duschen fällt auch noch der Strom aus und so bin ich den ganzen Abend im Schein meiner Taschenlampe und einer Kerze auf meinem Zimmer.
Ich frühstücke auf dem Zimmer und verlasse dann die Stadt. „Alpenpanorama“ begleitet mich wieder auf dem Weg nach Nevésinje, wo ich erst einmal etwas essen gehe. Nun geht es fast nur noch bergab, erst gemächlich, dann in immer enger werdenden Serpentinen mit wunderschönen Ausblicken auf die umliegende Landschaft und die Ebene. Schließlich erreiche ich Mostar und in unmittelbarer Nähe der Altstadt entdecke ich in einer Seitengasse eine kleine Pension, wo ich für zwei Nächte bleibe. Es ist sonnig und sehr warm und mittels tatkräftiger Hilfe der Pensionswirtin finde ich einen Frisör, wo ich meine Haare schneiden und mich rasieren lasse. Nur wenige Meter sind es von hier aus zur berühmten Brücke von Mostar (Stari Most), die nach ihrer Zerstörung inzwischen wieder aufgebaut ist. Sie symbolisierte den Kreuzungspunkt zwischen der östlichen und westlichen Zivilisation.
Später fährt mich die Wirtin mit dem Auto nach Blagaj, wo an einem Fluss ein Holzhaus aus der Zeit der türkischen Herrschaft mit zwei Sarkophargen osmanischer Herrscher zu bestaunen ist. Hier befindet sich auch die größte Quelle in Bosnien. Wir genießen die Ruhe und frische Luft und ich fülle meine Wasserflaschen auf, das Wasser hier soll das Beste weit und breit sein. Über Pociteliji, einem alten Ort mit Burg an einem Felsen gelegen, geht es weiter in Richtung Stolac. In diesem Ort stehen noch viele Ruinen, zerstörte Gebäude. Es gibt auch ein Motel, aber da es noch früh am Tag ist, entscheide ich mich weiter zu fahren. Und das hat Folgen: unzählige Anstiege und die auf der Karte eingezeichneten Dörfer sind verlassen oder existieren nicht mehr. Und das heißt, dass ich einfach weiterfahren muss. Als ich das Hinweisschild „Neum 30 Km“ sehe, trifft mich fast der Schlag, denn ich habe bereits über 70 km hinter mir. Trotzdem habe ich keine andere Wahl als bis dorthin noch zu fahren. Neum liegt am Meer – doch die Fahrt dorthin schlängelt sich wieder mit vielen Auf- und Abstiegen durch die Berge. Nach zwei Polizeikontrollen erreiche ich den Ort bei Dunkelheit und er scheint eine einzige Baustelle zu sein. Nach mehreren Versuchen habe ich das Glück einen deutschsprechenden Bauunternehmer zu finden, der mich zu seinem Haus mitnimmt. Das bedeutet allerdings noch weitere 3 Km (bergauf natürlich) zu fahren bis in ein kleines Dorf. Aber nach 111 Km Fahrt bin ich mehr als froh sogar ein Bett und eine Dusche zu bekommen.
Dubrovnik
Als ich heute Morgen aufstehe, muss ich gleich zur Toilette rennen – Durchfall. Ich fühle mich sehr schwach und ohne Appetit auf irgendetwas fahre ich los. Kurz danach muss ich gleich wieder in die Büsche. Die Fahrt nach Dubrovnik entlang der Küste kann ich so gar nicht wirklich genießen: Klares, blaues Wasser, mediterrane Landschaft, blauer Himmel.
Ich bin heilfroh, als ich nach 5 Stunden die Altstadt von Dubrovnik erreiche. Dort rufe ich Ivo an, der mir einen Übernachtungsplatz in einer Privatpension organisiert hat. Im zweiten Stock eines Altbaus bekomme ich ein Zimmer, hier ruhe ich mich erst einmal für längere Zeit aus. Trockenes Brot, Salzstangen, Cola mit Zitrone sind meine Hauptnahrung für die nächsten zwei Tage. Ivo zeigt mir die Altstadt und viele versteckte Plätze, die ich allein nie gefunden hätte.
Dubrovnik ist eine mittelalterliche Stadt mit einem historischen Zentrum. Die alten Stadtmauern wurden zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert erbaut. Auf dieser alten Stadtmauer kann man einen beeindruckenden Stadtrundgang unternehmen und alle sechzehn Türme dieses alten Schutzwalls besuchen. Den besonderen Stellenwert Dubrovniks unterstreicht die Tatsache, dass die Stadt 1979 in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen wurde. Berühmt ist auch das Fort dieser autofreien Altstadt. Die Festungsmauer ist rund zwei Kilometer lang, mancherorts fast 25 Meter hoch und rund 6 Meter breit.
Direkt auf einem Felsplateau über dem Meer befindet sich ein schönes Café, wo wir den Blick auf das Meer und den unendlichen Horizont genießen.
Der Tag meines Rückfluges von Dubrovnik nach Deutschland naht und so versuchen wir für mein Rad Verpackungsmaterial in der Stadt aufzutreiben, was alles andere als einfach ist. Wir erhalten nur „Kleinteile“ und ich klebe und befestige sie entlang des Rades. Ivo fährt mit mir am nächsten Tag zum Flughafen und das sollte sich noch als Glücksfall erweisen. Zunächst fahren wir mit einem Lokalbus zur zentralen Busstation und dann mit einem Airportbus zum Flughafen. Dort macht man mir am Schalter gleich klar, dass in dieser Form mein Rad nicht mitgenommen wird…Nach langer Diskussion und dank Ivo´s Hilfe bekommen wir noch etwas Verpackungsmaterial und ich klebe was das Zeug hält. Nachdem der „Sicherheitsoffizier“ grünes Licht gibt, kann ich endlich aufatmen. Es wurde auch höchste Zeit, denn der Flug ist bereits aufgerufen…
In Stuttgart erhalte ich mein Rad unversehrt zurück und so kann ich die Heimfahrt mit Zug und per Rad antreten.
Nach 1 050 Km per Rad ist ein weiteres Abenteuer zu Ende gegangen.
Hans Jürgen Stang